Donnerstag, 6. August 2020
Nachzutragen sind noch die Jungfrauen: hier Nr. 1 - Bla Jungfrun vor Öland
Um 9:15 Uhr geht der Anker hoch,
viel Seegras bzw. sonstiges Grünzeugs hängen an Ankerkette und Anker. Da heißt
es gleich erst mal wieder die Ankerrolle sauber machen. Nach der Ausfahrt aus
der Bucht wird das Großsegel gesetzt. Der Wind – auch noch aus Südwest - könnte
besser sein. Kommt zudem auch noch genau von achtern. Da ist das mit dem
Vorwärtskommen eh schon schwieriger. Also gleich den Blister – geschotet als
Spinnaker – gesetzt. Nachdem die Nordspitze Ölands bereits deutlich hinter uns
liegt, dreht der Wind weiter auf Süd und da wir auch aus der Abdeckung raus
sind, legt er etwas zu. Der Druck auf dem Spibaum und der Zug auf dem
Achterholer ist schon ziemlich heftig. Also schnell wieder zum Blister umbauen.
Damit erreichen wir zumindest schon mal 6 kn, zeitweise auch mehr und auch die
7 lässt sich ab und an blicken. Erst kurz vor Erreichen des Leuchtturms
Stenkyrkehuk und nochmaligem Umschoten zum Spinnaker lässt die Fahrt dann doch
deutlich nach. Anke und Gerd von der Emaloca warten schon, haben eine Zeitlang
die ankommenden Boote von der Huk aus beobachtet, aber ich war noch nicht
dabei. Ich ziehe noch unter Segeln eben am Leuchtturm vorbei, aber dann geht
die Fahrt auch schnell unter 4 kn und der Diesel muss zu Hilfe kommen.
Nach 9 ½ Stunden und 56,5 sm ist
der Hafen von Lickershamn, auf dessen Mole Gerd und Anke schon stehen und mir
zuwinken erreicht. Mit ihrer Hilfe ist schnell angelegt. Die freudige Begrüßung
fällt natürlich coronamäßig aus, schmälert aber keineswegs die Freude über das
Wiedersehen.
Zudem liegt Ankes Cousin Ernst mit
seinem Schiff „La Siesta“, das seinen Heimathafen in Västervik hat, ebenfalls
im Hafen und so lerne ich noch mal neue, sehr nette und interessante Segler
kennen.
Jungfrau Nr. 2: Raukar Jungfru bei Lickershamn auf Gotland
Freitag, 7. August 2020
Erst mal jedoch steht eine Wanderung
zur Jungfru an. Von dort aus führt ein gut markierter Weg immer entlang der
Küste und größtenteils durch Wald bis zum Leuchtturm Stenkyrkehuk, den ich auf
der Wasserseite bei meiner Ankunft per Boot schon passiert hatte. Zwischendurch
gibt es immer wieder spektakuläre Klippen, von denen man eine phantastische
Aussicht hat. Hier muss man einfach mal nur da sitzen und schauen und genießen.
Man sitzt hier ca. 30 m über dem steinigen Strand und lässt sich von der
angenehmen Brise etwas abkühlen, denn die Temperaturen sind doch beachtlich.
In
Leuchtturmnähe gibt es einige Wohnhäuser, vermutlich als Ferienhäuser genutzt.
Zumindest sprechen hierfür die am steinigen Strand stehenden Hütten mit ein
paar Ruderbooten, die ich nach einem steile Abstieg vorfinde. Natürlich geht es
mal wieder nicht zurück, ohne ein paar mir besonders schön erscheinenden Steine
mitzunehmen. Die ebenfalls am Strand herumliegenden flachen Kalksteine sind mit
unterschiedlichsten Fossilien übersät. Man findet versteinerte Schnecken,
Ammonite, Muscheln gleich haufenweise, röhrenförmige Gebilde und sogar
Korallenstrukturen. Man ist geneigt, vieles davon mitzunehmen, aber die
Kapazitäten meines Rucksackes und meine Bereitschaft, gleich kiloweise Steine
auf dem Buckel zurück zum Boot zu schleppen, sind dann doch begrenzt. Also
beschränke ich mich aufs Fotografieren und damit haben auch andere Besucher
noch die Chance, diese Fundstücke zu bestaunen.
Auf dem Rückweg scheint der
Rucksack sukzessive an Gewicht zuzulegen. Am Ende bin ich froh, mich im wunderbaren
Wasser im Hafenbecken abzukühlen und ein frisches T-Shirt überzuziehen.
Der Abend im Restaurant am Hafen
mit Gerd und Anke von der „Emaloca“ und Ernst und Ingrid von der „La Siesta“
beginnt erst mal mit dem Studium der für uns etwas schwer zu verstehenden
Speisekarte. So dauert es ein wenig, bis wir uns zwischen den verschiedenen
Tapas, die man zu Hauptgerichten kombinieren kann, entschieden haben. Es ist
zwar alles ein bisschen anders als man es in einem normalen Restaurant gewohnt
ist, jedoch sehr schmackhaft. Und die Krönung ist die „White Pizza“. Wir
beschließen, den Espresso und den/die Absacker bei mir an Bord einzunehmen. Es
wird noch ein geselliger Abend, in dessen Verlauf man sich ein wenig besser kennen
lernt.
Und gekrönt wird das Ganze von einem großartigen Sonnenuntergang!
Der nächste Tag wird richtig heiß!
Ich darf Ankes Fahrrad nutzen, um zum ca. 2 km entfernten Tempo-Markt zu radeln
und meine Einkäufe zu tätigen, um die Vorräte insbesondere an frischen Sachen
aufzufüllen. Gerd brieft mich vorher aber noch, dass es da eine Kirche zu
besichtigen gibt und ein Grab aus der Bronzezeit, das man nicht verpassen
sollte. Erst mal geht es bis zur Kirche, die von außen recht nichtssagend
aussieht. Aber wenn man erst mal reinkommt! Ein Organist sitzt an der Orgel und
spielt moderne Stücke (die eines bekannten estnischen Orgelkomponisten), Die Wände und Decken sind mit uralten Fresken verziert. Vom Organisten erfahre ich, dass die seher schön klingende Orgel von 1789 datiert und ursprünglich einer Stockholmer Kirchengemeinde gehörte und später an die kleine Kirche verkauft wurde. Am Mittwochabend gibt es ein Konzert mit Werken unterschiedlicher Komponisten (u.a. besagtem Komponisten aus Estland, aber auch klassische Werke z.B. von Mendelssohn).
Beeindruckend
sind die vielen alten Fresken, mit denen Wände und Decken verziert sind. Natürlich statte ich anschließend
auch dem Grab aus der Bronzezeit einen Besuch ab, das auch allein aufgrund der
Gestaltung als Wagenrad mit vielen aus Steinen gelegten Speichen und natürlich
des beträchtlichen Alters beeindruckend ist.
Die Hitze macht mir doch zu
schaffen und ich bin froh, mich im Hafenbecken wieder abkühlen zu können. Zu
weiteren Aktivitäten kann ich mich nicht aufraffen, bereite lediglich noch
einen Salat für heute Abend vor, denn Gerd hat Lammhackfleisch mitgebracht, die
– zu Lammburgern oder auch „Lyckershamnburger“ – verarbeitet auf den Grill
sollen. Der Abend vergeht wie im Flug. Wir haben so ca. 10 m Mole belegt,
genießen die Lyckershamnburger mit dazu passenden Getränken und genießen einen zum krönenden Abschluss einen phänomenalen Sonnenuntergang.
Sonntag, 9. August 2020
Heute geht es wieder weiter. Gerd
und Anke wollen nach Lauterhorn auf Farö, das auch mein Ziel ist. Ernst und
Ingrid wollen zurück an die schwedische Ostküste. Bei mir wird es mal wieder
11:30 Uhr, bis ich die Leinen loswerfe. Der schwache Nordwestwind reicht
anfangs noch für 3,5 kn, auch schon mal mehr, lässt dann aber wieder nach, so
dass ich den Blister setze. Auch damit geht es nicht lange gut, und schließlich
müssen doch wieder die Kolbensegel ran. Erfreulicherweise kommt der Wind dann
aber doch wieder zurück, so dass ich den Rest unter Segel zurücklegen kann. Am
Ende habe ich für die etwas mehr als 22 sm fast fünf Stunden gebraucht.
Montag, 10. August 2020
Gerd und Anke hatten gestern schon
eine erste Erkundungstour auf ihren Fahrrädern gemacht. Ich mache mich nach
dem Frühstück auf den Weg zum 1,7 km entfernten Cykeluthyrning (Fahrradverleih).
Mein letzter 100 Kronen-Schein wechselt den Besitzer und schon ist ein Fahrrad
mit 3-Gang-Schaltung meins. Schlüssel darf ich irgendwann abends in den
Briefkasten werfen, Zeitpunkt ist egal.
Natürlich folge ich der
Beschilderung „Raukomrade“. Bereits nach einer kurzen Strecke, vielleicht 2 km,
kommen an der Backbordseite die ersten Raukar in Sicht, die ich nicht nur
sehen, sondern auch besteigen, erklimmen und erfahren will. Bei den Raukar
handelt es sich um Kalksteinfelsen, die durch Wind und Wasser teils sehr
skurrile Formen angenommen haben.
Negerkopf am Digerhuvud
Nachdem ich mich einigermaßen „ausgetobt“
habe, will ich die Weiterfahrt antreten. An der Tisch-/Bankkombination, an der
ich mein Fahrrad abgestellt habe, sitzt ein junges Pärchen und genießt ein
kleines Picknick. Auf meine Bemerkung, dass ich sie jetzt auch vom Fahrrad
befreie, folgt nur ein: „Das hat überhaupt nicht gestört, aber setz dich doch
zu uns! Möchtest du auch ein Brot?“ Erst mal bedanke ich mich und lehne ab,
aber nach der nochmaligen Aufforderung, mich doch zu ihnen zu setzen, fände ich
es fast schon als unhöflich, ihrer Einladung nicht zu folgen. Wir unterhalten
uns wie so üblich über das woher und wohin und scheinen ziemlich auf einer
Wellenlänge zu liegen. Sie beide sind Kiter, allerdings der besonderen Art,
weil sie auf Foils unterwegs sind. Der wirklich sehr schmackhafte Imbiss ist
schon fast nebensächlich, und die knappe halbe Stunde, die ich dort verbringe,
vergeht wie im Flug. Am Ende verabschiede ich mich von den beiden – Mats und
Miriam – fast wie von gutem Bekannten. Sie beide müssen bald nach Göteborg in
ihre Berufe zurück, während ich weiter per Segelboot meine Reise fortsetzen
kann, ein wirkliches Privileg, dessen Wert mit gerade in diesen besonderen Zeiten
immer mehr bewusst wird.
Nach dem Raukomrade gibt es noch
eine alte Fischeransiedlung, die ich mir ansehen.
Den Weg nach Langhammeren,
der zudem eine Einbahnstraße ist, erspare ich mir. Dem Gotlandsleden (Gotlandweg)
folgend geht es in das mittlere der Insel, das sehr agrarisch geprägt ist. Ich
fühle mich mehrmals quasi „in the middle of nowhere“, setze aber den Weg weiter
fort, bis ich an den Farögarden gerate, ein einladend aussehendes Restaurant
mit Außengastronomie. Ein Blick auf die Speisekarte und schon ist es um mich
geschehen! Einmal Pulled Lammhamburger, dazu ein Wasser und ein Bier. Sehr
lecker und nett angerichtet. Diese Pause hat echt gut getan.
Als ich mich wieder auf den Weg
mache, um die Weiterfahrt zum Suderstrand anzutreten, kommen gerade Gerd und
Anke angeradelt. Ihr Ziel ist auch der Suderstrand und so schließe ich mich mal
wieder gern an. Am Suderstrand sind wir erschlagen von dem regen Strandleben.
Man kommt sich fast wie in Südeuropa vor: Buden, viele Schirme, eine Eisbar,
selbst Massage und Yoga sowie Surfen und Stand-up-Paddling sind im Angebot.
Gerd und Anke leisten sich ein Eis, ich selbst bin vom Hamburger noch so satt,
dass ich lieber auf ein Eis verzichte.
Unsere Weiterfahrt führt uns an
Bauernhöfen, die in der typisch gotländischen Art mit Schilf gedeckt sind,
sowie alten Windmühlen vorbei, bis ein Café auf der linken unsere
Aufmerksamkeit erregt. Es sieht sehr urig aus, zudem stehen viele vor sich hin
rostende amerikanische Oldtimer dort rum. Da müssen wir rein! Ich lade die
beiden zu Kaffee und Kuchen ein, wobei Anke lieber einen Tee nimmt und auch auf
den Kuchen verzichtet. Der Tee ist zwar ein ziemlicher Reinfall, aber die
Kuchen sind extrem gut und würden einem Spitzenkonditor gut zu Gesicht stehen.
Das Café liegt an einer wunderschönen Bucht, die bei westlichen Winden
sicherlich auch gut für eine Nacht vor Anker wäre.
Aber es kommt noch besser! Ich
erinnere mich an die skurrile Tankstelle, in der vor Jahren eine
Elvis-Revival-Band aufgetreten ist. Wilfried und Astrid Erdmann haben sie
letztes Jahr auch besucht und in den höchsten Tönen davon geschwärmt. Und der
ehemalige Drummer der Band soll immer noch vor Ort sein und ggfs. sogar der
Eigentümer dieser außerordentlich ausgefallenen Location sein. Ich stehe noch
vor einem der etwas jüngeren Oldtimer, als mich einer anspricht und meint: Den
Motor von der Karre haben wir komplett zerlegt, gereinigt und wieder neu
zusammen gebaut. Und jetzt läuft er wieder. Bald wird die Kiste auch wieder
fahren. Es ist ein total hagerer Typ, ein lustiges Käppi mit Brokatverzierungen
auf dem Kopf, das Hemd bis zum Bauchnabel geöffnet. Ich bin total erstaunt und
meine, jetzt musst du nur noch sagen, du bist der ehemalige Drummer dieser Revivalband!
„Exactly, that’s me! If you go over there and pass the old oil barrels you’ll
find the entrance to the bar. Just have a look!“
Das lasse ich mir
nicht zweimal sagen. Gerd
und Anke kommen auf meinen Hinweis, dass man sich das ansehen müsste, mit. Die
Hütte ist erstaunlich klein. Gegenüber der Bar befindet sich die Bühne, die
bestenfalls 8 x 4 m misst. In dem Halbdunkel kann man anfangs fast nichts
erkennen, aber es mutet eher wie ein verrücktes Museum an. Kutens Bensinmacka
(Kutens Tankstelle) ist aber, wie mir der Drummer verrät, niemals eine
Tankstelle gewesen. „Just fuel for the soul!“ Er macht noch ein
bisschen Musik an, natürlich Rock’n Roll. Total verrückt, was wir hier gerade erleben! Ich hatte
zwar insgeheim gehofft, dass ich diesen Platz finden würde, aber dass wir dann
auch noch so zufällig darauf stoßen, hätte ich nie gedacht.
Irgendwann reißen wir uns dann
doch los und radeln weiter, bis wir das nächste Highlight entdecken: das
Bergman-Museum, das Ingmar Bergmans Wirken auf Farö und natürlich die
verschiedenen auf Farö gedrehte Filme, u.a. „Szenen einer Ehe“, würdigt. Natürlich
müssen wir rein und lassen die Exponate, viele Fotos und auch Filmsequenzen auf
uns wirken. Leider sind die deutschen Übersetzungen zu den Exponaten nicht sehr
hilfreich. Trotzdem finden wir alles sehr imposant.
Filmkamera aus den 60er Jahren!
Auch hier fällt es uns
schwer, uns loszureißen. Aber wir haben ja auch noch ein Stück zu radeln bis zum Hafen und mein Fahrrad muss ich ja auch noch zurückbringen.
Abends lassen wir den Tag mit so
vielen Eindrücken, die eigentlich auch schon für drei Tage mindestens reichen
würden, bei einem Glas Wein Revue passieren. Ich kann mich neben den vielen
Erlebnissen glücklich schätzen, die beiden getroffen zu haben und diese Dinge
mit ihnen teilen zu können.
Um auf die Titelfrage zurückzukommen: Was haben die drei gemeinsam? Sie alle sind auf der kleinen Insel Farö, nördlich von der Hauptinsel Gotland, zu finden! Gut, dass es so weit weg ist, ansonsten würden auch hier die Touristenströme dem eher herben Charme der Insel ein schnelles Garaus bereiten.